Wenn ein Thema alle anderen übertönt, braucht es Humor
Neulich dieser Spruch: „Wissenschaftler haben herausgefunden, sind dann aber wieder reingegangen.“ Witzig! Ich hatte Lust, es auf Facebook zu posten.
Sofort kamen dem TastenChamäleon Bedenken und es begann, in meinem Kopf hin und her zu hasten: „Das kannste jetzt nicht machen, das wird als Angriff auf die Wissenschaft verstanden, damit sagste doch, dass die Wissenschaftler verpeilt sind und keine Ahnung haben und abgeschafft gehören. Das ist Wasser auf die Mühlen der Verschwörungstheoretiker! Das ist Rückenwind für die frustrierten Bürger, die nicht verstehen, dass die Realität zu komplex ist für einfache Rezepte!“
Wasser auf die Mühlen?
Ich stutzte und dachte kurz nach. Das TastenChamäleon liess vor meinem geistigen Auge Kolonnen von deprimierten Wissenschaftlern auftauchen. Mutlos und mit hängenden Köpfen standen sie da wie geprügelte Hunde.
Vor Corona war dieser Spruch einfach nur gutmütig lustig gewesen. Jetzt, im Konzert des Lockdown-Geschreis hat er eine kastrierende Wirkung. Denn wenn man diesen Spruch ernst nimmt … was sagt er aus? Er besteht aus zwei Teilen. Den ersten Teil findet man häufig genau so in den Zeitungen: „Wissenschaftler haben herausgefunden …“ Das ist dann meistens das Ende einer Diskussion. Denn das, was die Wissenschaftler herausgefunden haben, entlarvt die Meinung aller Andersdenkenden als falsch. Es ist also eine Formulierung, die die Überlegenheit der Wissenschaftler beschwört.
Und der zweite Teil? „… sind dann aber wieder reingegangen.“ Er verkehrt die Überlegenheit in Lächerlichkeit, indem er den ersten Teil mit einer neuen Bedeutung auflädt: Die Wissenschaftler haben keine neuen Erkenntnisse … Nein, sie haben Mühe, den Ausgang zu finden! Jeder Nicht-Wissenschaftler findet den Weg aus einem Haus, mehrmals täglich, ohne gross darüber nachzudenken. Aber Wissenschafter, diese scheinbar so hoch gescheiten Leute, haben damit Probleme … Ha, wir haben es doch schon immer gewusst! Diese Klugscheisser haben einfach keine Ahnung! Wenn man diesen Spruch so liest, degradiert er die Wissenschaftler zu Schatten ihrer selbst und raubt ihnen ihren letzten Stolz.
Und an dieser Degradierung sei ich beteiligt, behauptet das TastenChamäleon. Weil ich mir das bisschen Humor nicht verbieten lassen möchte. Was nur zeige, dass ich verantwortungslos sei und die ganze Corona-Hysterie – sorry: -Problematik – nicht ernst nehme. Schande auf mein Haupt!
Staudamm gegen die Empörungswelle
„Jetzt reicht`s aber, TastenChamäleon!“, rief ich aus. „Musst Du immer so masslos übertreiben?“ Ich hatte nie die Absicht, Wissenschaftler zu beleidigen. Ich habe Hochachtung vor ihrem klarem Denken und kühlem Kombinieren, vor ihrer Ausdauer und Frustrationstoleranz – eben vor dem wissenschaftlichen Arbeiten, das ihr täglich Brot ist. Ich halte es für ein gutes Prinzip, dass man in der Wissenschaft schon mit halbfertigen Erkenntnissen das Gespräch sucht, um durch den Vergleich gemeinsam schneller zu endgültigen Erkenntnissen zu kommen. Es mag für Laien verwirrend sein, wenn unterschiedliche Institute widersprüchliche Erkenntnisse veröffentlichen. Aber man kann die Komplexität der Welt doch nicht den Wissenschaftlern ankreiden!
Ich will ganz sicher niemandes Gefühle verletzen. Und überhaupt geht es doch nicht um Personen, sondern um Sachinhalte. Konkret um die Frage, wie diese neue Gefahr „Covid 19“ einzuschätzen ist und wie wir uns mit möglichst kleinem Kollateralschaden vor ihr schützen können. Möglichst kleinem Kollateralschaden!
Im Überfluss ertrinken
Problematische Themen haben die Eigenschaft, sich in den Vordergrund zu schieben und keinen anderen Gedanken mehr zuzulassen. Muss die gesamte Welt stillstehen, nur weil wir Corona haben? Dieser Mechanismus, dass ein Problem alles andere verdrängt, ist sinnvoll bei Problemen, die sich hier und jetzt durch beherztes Handeln lösen lassen: zum Beispiel dann …
- wenn eine glühende Zigarette die Bettdecke in Brand setzt
- wenn das Kleinkind freudig auf die stark befahrene Strasse zuwackelt
- wenn mein Nachbar im Bus in sich zusammensackt und von seinem Sitz rutscht
Aber in allen anderen Situationen ist die automatische Selbstverstärkung der Probleme eher ein zusätzliches Problem. Und das braucht keiner.
Ich nähre die Nebenflüsse
Deshalb habe ich das Geschrei des TastenChamäleons ignoriert und diesen Spruch einfach gepostet. Wenn es scheinbar nur noch ein Thema gibt, hilft nur eines: über andere Themen reden. In Kauf nehmen, dass man missverstanden wird von denen, die in dem Problem gefangen sind. Und darauf hoffen, dass bei allen anderen der Widerstandsgeist gestärkt wird.
Es ist wie immer: Jede Wiederholung macht die nächste Wiederholung ein bisschen leichter. Man kann sich den Schrecken eines Problems immer wieder vor Augen führen. Dann wird es immer leichter, neue Schreckensfacetten zu erkennen. Man kann aber auch über etwas anderes reden. Dann wird es immer leichter, das Problem ins Verhältnis zu setzen zum Rest des Lebens.
Schwimmen wir uns frei!
Und so werden wir auch diese Corona-Krise überwinden. Nicht die Fanatiker werden sich durchsetzen, sondern die Gemässigten und Rationalen. Die leicht verpeilten Ganz-genau-Hingucker. Die, die den Dingen so tief auf den Grund gehen, dass sie ihnen die Selbstverständlichkeit nehmen. Was wiederum Voraussetzung für neue Lösungsansätze ist. Ein Hoch auf die Wissenschaft!
ANNETTE KNÜSEL mit #Tastenchamäleon
#Tastenchamäleon #Corona #Wissenschaft