16
Dez
2020
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Wortmeteoriten und Mindfuck

Gut geschrieben oder voll daneben?

Einen solchen Wortmeteoriten hat das TastenChamäleon kürzlich verwendet. Und ich habe ihn aufgeschrieben und veröffentlicht. Davon hat das sensible TastenChamäleon noch heute Kopfschmerzen. „Wie konntest du das nur tun?“, fragt es mich fast täglich, „Sowas schreibt man doch nicht auf! Du hattest doch gar nicht umfassend und abschliessend recherchiert, welche Bedeutung dieses Wort hat. Für sich genommen, ist es ein hässliches Wort, pah! Deshalb habe ich es ja verwendet für so eine hässliche Anzeige. Aber aufschreiben … du hättest es nicht aufschreiben sollen.“

Also habe ich mich noch einmal hingesetzt und das Wort „Mindfuck“ erforscht. Es kommt anscheinend aus der Kinosprache und beschreibt ein Phänomen, dass sensible Gemüter nur zu gut kennen: Nämlich wenn man den Grusel aus einem Film ins echte Leben überträgt und in jeder dunklen Ecke der Strasse das Gespenst sieht, das eben noch über die Leinwand flimmerte. Diese geistige Verwirrung nennt man dann „Mindfuck“.

Mindfuck im Netz

Richtiggehend vermarktet wird das Wort von einer Psychologin aus Berlin, die dazu sogar Bücher geschrieben hat. Für sie ist „Mindfuck“ eine weit verbreitete Form von Selbstsabotage, eine mentale Blockade, mit der viele Menschen sich selbst daran hindern, ihr Potenzial zu entfalten. (Und sie bietet ein Coaching an, das dabei hilft, seinem persönlichen Mindfuck auf die Schliche zu kommen.)

Und schliesslich gehört das Wort – wenn man den schriftlichen Quellen glauben darf – zur Jugendsprache von heute. Von dort hatte ich es auch entliehen. In der Jugendsprache steht „Mindfuck“ schlicht für „Verwirrung“. In diesem Sinne habe ich es auch gebraucht: Das Inserat, über das ich geschrieben habe, fand ich zu bunt und verwirrend – genau das war mein Kritikpunkt. Und deshalb habe ich das Wort „Mindfuck“ vom TastenChamäleon übernommen und in den Text geschrieben. Neben dem altbackenen „Joghurtbecher“ übrigens, der aus der Jugendsprache der 1980er Jahre stammt und mich als „Ü40“ entlarvt …

Jugendsprache von Ü40?

Das TastenChamäleon ist weiterhin nicht einverstanden. Es findet nicht gut, dass ich als Ü40 ein Wort aus der heutigen Jugendsprache in meinen Text schreibe. Und noch so ein hässliches Wort … Aber ich habe mich entschieden: Man darf das, wenn es passt. Denn manchmal gibt so ein Wortmeteorit dem Text gerade seine besondere Würze.

Aber Diskussionen mit dem TastenChamäleon können langwierig und dennoch ergebnislos sein. Um das Thema abzuschliessen, setze ich also auf Ablenkung: „Schau mal, hier gibt es ein wunderbares Buch über Jugendsprache. Die Sprache der jungen Generation ist ein Idiom, mit eigenen Wörtern und Regeln, wie die Schweizer Mundarten oder diese französische Gaunersprache (Argot) oder auch das Norddeutsche Platt … Lass uns dieses Buch bestellen, und dann erforschen wir das mal ganz genau.“ Das TastenChamäleon seufzt genüsslich und vertieft sich hoch konzentriert in den Klappentext. Und ich kann endlich in Ruhe weiterarbeiten.

Für das #TastenChamäleon sind Wörter wie Meteoriten. Das sind diese Gesteinsklumpen aus dem Weltall. Die meisten von ihnen kreisen um eine Sonne und tun dort ihren Dienst: Im Fall der Wortmeteoroiten heisst „Dienst tun“: Gedanken in Worte fassen, sodass man sie denken und anderen Menschen vermitteln kann.

Wörter auf Abwegen

Manche Meteoroiten aber pfeiffen auf „Dienst nach Vorschrift“ und verlassen ihre vorhersehbare Umlaufbahn. Sie treten in die Erdatmosphäre ein. Und verglühen dabei. Man nennt sie dann Meteor oder einfach „Sternschnuppe“. Ein verbaler Meteor entsteht etwa dann, wenn wir Wörter aus dem gewohnten Kontext herausreissen und überraschend kombinieren, sodass sich ganz neue An- und Einsichten ergeben. Zum Beispiel: „Wer nach allen Seiten offen ist, ist meistens nicht ganz dicht.“ Wie eine Sternschnuppe leuchtet es da kurz auf. Wir sehen es, stutzen, schauen genau hin und sind im Moment des Verstehens ganz verzaubert.

Aber manchmal verglühen die Wörter nicht, sondern zischen als Meteorit durch den offenen Raum, rasen durch die Atmosphäre, zerschneiden unseren Himmel und unser Hirn. Sie schlagen schliesslich in die Erde ein – also in unsere Gewissheiten – und können übelste Verwüstungen anrichten. Zumindest bei sensiblen Gemütern.

Annette Knüsel mit #TastenChamäleon

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